Yunus Emre
Mit Bergen und mit Steinen auch
Will ich Dich rufen, Herr, o Herr!
Mit Vögeln früh im Morgenhauch
Will ich Dich rufen, Herr, o Herr!
Mit Fischen in des Wassers Grund,
Gazellen in der Wüste rund,
Mit „Yahu!“ aus der Toren Mund
Will ich Dich rufen, Herr, o Herr!
Mit Jesus hoch im Himmelsland,
Mit Moses an des Berges Rand,
Mit diesem Stab in meiner Hand
Will ich Dich rufen, Herr, o Herr!
Mit Hiob, der vor Schmerz versteint,
Mit Jakob, dessen Auge weint,
Und mit Muhammad, Deinem Freund,
Will ich Dich rufen, Herr, o Herr!
Mit Dank und Preis und Lobeswort,
Mit „Gott ist Einer“, höchstem Hort,
Barhäuptig, barfuß, immerfort
Will ich Dich rufen, Herr, o Herr!
Mit lesend frommer Zungen Hallen,
Mit Turteltauben, Nachtigallen,
Mit denen, die Gott lieben, allen
Will ich Dich rufen, Herr, o Herr!
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Meine Liebe zu Dir von mir nahm mich
Du für mich, ich brauch nur Dich!
Gestern wie Heut brenne ich
Du für mich, ich brauch nur Dich!
Das Dasein kann mich nicht erfreu’n,
Das Nichtsein kann ich nicht bereu’n,
Nur Deine Lieb‘ kann Trost mir sein.
Du für mich, ich brauch nur Dich!
Dein Lieben tötet jedermann,
Taucht ihn in Deinen Ozean,
Es füllt ihn mit Erleuchtung an
Du für mich, ich brauch nur Dich!
Vom Liebeswein will trinken ich,
Verwirrt in Berge stürzen mich,
Und Tag und Nacht denk‘ ich an Dich
Du für mich, ich brauch nur Dich!
Weisen brauchen das Wort
Fromme brauchen der Hort
Madschnun braucht Leila dort
Du für mich, ich brauch nur Dich!
Und wollt‘ man mich dem Tode weih’n,
Die Asche in den Himmel streu’n,
So würde dort mein Staub noch schrei’n:
Du für mich, ich brauch nur Dich!
Das was genannt Paradies
Sind nur Schlösser und Huris
Wer es will, dem gibs‘
Du für mich, ich brauch nur Dich!
Ich werde Yunus wohl genannt,
Und täglich wächst mein Liebesbrand
Ein einziges Ziel ist mir bekannt:
Du für mich, ich brauch nur Dich!
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In Leidenschaft fiel tief mein Herz –
Sieh, was die Lieb‘ aus mir gemacht!
Ich gab mein Haupt an Streit und Schmerz –
Sieh, was die Lieb‘ aus mir gemacht!
Ich weine still in mich hinein,
In Blut färbt mich die Liebe ein,
Kann nüchtern nicht, verwirrt nicht sein –
Sieh, was die Lieb‘ aus mir gemacht!
Berauscht hat mich der Liebe Trank,
Sie nahm mein Herz und macht‘ mich krank –
Wollt‘ führen mich zur Opferbank –
Sieh, was die Lieb‘ aus mir gemacht!
Bald weh‘ ich, wie der Wind es tut,
Bald staub‘ ich, wie ein Weg voll Glut,
Bald fließ‘ ich, wie des Wildbachs Flut –
Sieh, was die Lieb‘ aus mir gemacht!
Blass meine Haut, mein Auge weint,
Mein Herz zerstückelt und versteint,
Erfahren und dem Schmerz geeint –
Sieh, was die Lieb‘ aus mir gemacht!
Als armer Yunus wohl bekannt,
Von Kopf bis Fuß voll Wundenbrand,
Ich schweife fern von Freundeshand –
Sieh, was die Lieb‘ aus mir gemacht!
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